Ein Brief Siebenpfeiffers aus dem Zweibrücker Gefängnis
Herrn Trommler, Landstand in Mainz
durch freundliche Hände
Zweibrücken, 17. November 1832
Mein theurer Herr und Freund
Oft schon, in meinem dunkeln Loche, dachte ich (an) Sie und die anderen Guten in Mainz, aber ich mochte nicht schreiben, war ich doch im Geist Ihrer freundlichen Theilnahme gewiß. Gleichwohl ist die Anwesenheit der trefflichen Mutter und Tochter eine liebliche Erscheinung für mich, und ich bedaure nur, daß ich sie nicht von Auge zu Auge schaue.
Meine Gesundheit ist jetzt wieder leidlich, der Körper, scheint es, gewöhnt sich allmählich an die dumpfe Luft und den Mangel an Bewegung, was mir bis vor kurzem viel Leiden und Gefahr verursachte. Was mich mehr bekümmerte, ist der öffentliche Zustand Deutschlands: Denn gar manches schien anzudeuten, daß das Volk sich wieder füge. Jetzt sehe ich aber, daß die Erbärmlichkeit nur in den Klassen der Beamten, Reichen und Vornehmen sich findet, während die Masse täglich mehr erkennt, wo man mit ihr hinaus will. Große Ereignisse sind wohl dem nächsten Jahr vorbehalten.
Meine Haft dauert jetzt schon fünf volle Monate, und doch hat (man) mir noch nicht das Geringste zur Last gelegt, als was gedruckt ist und worüber somit am ersten Tag hätte entschieden werden können. Schämen muß sich die Regierung, schämen muß sich das Gericht: parturiunt montes et nascitur ridiculus mus. Anfangs wollte man durchaus ein Complott finden, und zwar zuerst zu Gunsten Frankreichs, dann zu Gunsten eines Gesamtdeutschlands; man findet nichts, weil nichts besteht, als ein geistiges Komplott aller Hellsehenden und Wohlgesinnten, die eine Grundreform Deutschlands wollen. Man hofft jetzt, daß unsre Sache vor die nächste Assise komme, am 28. Dezember. An unsrer Freisprechung ist nicht zu zweifeln. Allein wer vergütet unsre Leiden und den großen Verlust? Am Westboten habe ich an 1000 fl. verloren, an der Druckerei ebensoviel, seit fünf Monaten eine dreifache Haushaltung und keine Einnahme, an Stromeier verliere ich 600 fl., und nun fallen die Abonnenten auch von meiner Zeitschrift Deutschland ab, sogar da wo sie nicht verboten ist. Ich lasse sie jetzt eingehen mit dem 3. Bande, der schon gedruckt und zum Versenden bereit ist. Dennoch klage ich nicht. Ich verkaufe oder verlooße meine Staatsmöbel, schränke mich ein, und lebe von der kleinen Pension, die mir das Gericht nächstens definitiv zusprechen wird.
Auch sie verlieren an Stromeier ohne Zweifel – dies macht mir viel Kummer, da ich dazu beigetragen, Sie zu solcher Bürgschaft zu bestimmen. Doch Sie haben ja schon größere Opfer der edlen Sache gebracht, namentlich den Polen u. s. w. Das Vaterland wird Ihnen Rechnung halten, zweifeln Sie nicht. Daß Sie Landstand geworden, freut mich, insofern es eine Auszeichnung ist, die ihren trefflichen Eigenschaften gebührt. Von Wirksamkeit können die Cammern in Deutschland nicht seyn, als insofern dadurch der öffentliche Geist rege gehalten und gestärkt wird. Man soll Forderungen machen, aber ja nicht hoffen, daß etwas erreicht werde. Ich bin überzeugt, daß Sie mit mir hierin übereinstimmen. Es wäre nicht gut, wenn kleine Concessionen erwirkt würden, die dem Ganzen nichts fruchten und nur die Blicke von dem einen großen Hauptziel – einer Grundreform Deutschlands – ablenken. Diese Grundreform zu beantragen, sollte die erste und einzige Aufgabe aller Kammern seyn; dadurch würde sich über ganz Deutschland ein Gesamtgeist verbreiten. Denken Sie hierüber nach.
Mit den Auswanderungen nach Amerika – was einer der Punkte ist, die mir Kummer machen – sollte man nicht so eilen. Wer nichts für Gründung eines Vaterlandes zu Hause gethan, ist unfähig und unwürdig, ein solches anderswo zu gründen. Noch ist Deutschland nicht verloren. Eine rheinbaierische Gesellschaft hat auch solche Pläne, eine zweite desgleichen, doch wartet die letztere noch. Diese hat mir eine Actie von 500 fl. zum Geschenk gemacht, welches ich nur angenommen, weil es von den angesehensten Familien komt, somit eine ehrende Anerkennung meiner Bestrebungen ist, sonst würde meine Delikatesse mich vermocht haben es auszuschlagen. – Auch aus Rheinhessen gehn Auswanderer fort. Es soll mich freuen, wenn Sie und die braven Nassauer noch zuwarten. Es ist das letzte Mittel, meine ich.
Wenn ich frei bin und Sie in Darmstadt, hoffe ich Sie einmal in Oggersheim zu sehn und zu sprechen, wo es ohne Aufsehn geschehn kann. Und nun umarme ich Sie, sowie die übrigen Wackern, besonders H. Glaubrech. Der Tod seiner ausgezeichneten Schwester hat mich tief betroffen: o daß das edle Mädchen die Sonne eines bessern Tags nicht über Deutschland heraufgehn sah! Sanft ruhe sie! Bleiben Sie standhaft – ich bins.
Von ganzem Herzen
Ihr Siebenpfeiffer
Grüßen Sie und erinnern Sie mich der Freundschaft der edlen Nassauer Männer. Ein freundlicher Stern in meinem Kerker war die treue Sorgfalt meines trefflichen Weibes, aber ihr Anblick gab mir täglich auch Schmerz, weil sie sich so sehr grämte, denn sie ist von stolzer Erziehung, so gut sie ist.
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Quelle: Handschriftlicher, dreiseitiger Brief Siebenpfeiffers aus dem Gefängnis in Zweibrücken vom 17. November 1832; im Eigentum der Zweibrücker Gehrlein-Fuchs-Stiftung, mit Vertrag vom 26.11.1991 als Dauerleihgabe der Siebenpfeiffer-Stiftung überlassen, am 2.4.2003 für eine Ausstellung zeitweilig zur Verfügung gestellt, seither trotz freundl. Anfragen und vertraglicher Zusicherung nicht mehr zurückgegeben.