Die Rede von Philipp Jakob Siebenpfeiffer auf dem Hambacher Fest am 27. Mai 1832
„Der Gedanke des heutigen Festes und der Aufruf (vom 20. April) zur Feier desselben haben so mancherlei und seltsame Auslegungen erfahren, dass es Pflicht scheint für denjenigen, von welchem die Idee und der Aufruf ausgegangen, sich über die Bedeutung zu erklären, die er damit verknüpft, wobei indeß Jedermann frei bleibt, sie nach seiner Weise zu deuten und auszubilden. Die Schmähungen des Amtseifers muß man der zärtlichen Besorgnis für bestehende Institutionen verzeihen; die einzige Antwort sei: unsere würdevolle Haltung.
Aber indem ich mich anschicke, von der Idee dieses Festes zu reden, such‘ ich, von deren Unermeßlichkeit durchdrungen, vergebens den rechten Ausdruck für die Bilder, die schon bei einer andern Feier (am 29. Januar*) vor meiner Seele standen, und die in stets lichterer Klarheit hervordringen aus den Tiefen der Zukunft.
Ich werde kurz seyn, am Tage, wo aller Herzen voll sind; ich werde schlicht sehn, denn ich rede zu Allen; ich werde wahr sehn, nur für die Wahrheit ist dieser Redestuhl errichtet. Wer reden will in dieser kreisenden Zeit der Völkergeburt, der rede frei und offen wie des Himmels Sonne frisch hineinleuchtet in die sündenvolle Nacht. Diener der Gewalt mögen im Finstern schleichen oder am hellen Tage die vielfarbige Larve der Heuchelei und Lüge vornehmen; der Patriot, wer sein Vaterland liebt und die Freiheit liebt, wer die Menschenwürde trägt im Busen, der tritt in seiner eigensten Gestalt auf: er kann irren, aber nimmermehr sich und Andere belügen; nicht jene Selbstsucht wird ihn beherrschen, die in verschleierter Halbheit sich für jeden Ausgang des großen Kampfes das Löse- und Bindemittel retten will, nicht jene Selbstsucht, die die bessere Ueberzeugung an die Furcht verräth oder um schnöden Gewinn tauscht, nicht jene Selbstsucht, die, wie das Gift der Cholera, die Lippen in stotternden Krampf setzt und den Pulsschlag des Herzens tödtend erstarrt; sondern der Gottesfunke der Menschheit möge sein Gemüth bewegen, seine Zunge begeistern, der Gottesfunke der Liebe zum Vaterland, zur Freiheit.
Vaterland – Freiheit – ja! Ein freies deutsches Vaterland – dies der Sinn des heutigen Festes, dies die Worte, deren Donnerschall durch alle deutschen Gemarken drang, den Verräthern der deutschen Nationalsache die Knochen erschütternd, die Patrioten aber anfeuernd und stählend zur Ausdauer im heiligen Kampfe, „im Kampf zur Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt.
„Der Deutschen Mai – Wonnemonat nannten unsere Väter den Mai, wonniglich schmeichelt er den Sinnen, mit Wonne kirrt er das Herz, mit Wonnebildern umgaukelt er die Phantasie. Mit Blüten sahn wir Baum und Strauch geschmückt, ein Düftemeer wird bald umfluthen die zahllose Weingelände: reiche Fruchtbarkeit wird der Erndtemonat bringen, wenn kein Spätfrost tödtet, kein Hagel zerschlägt, kein Sturm zerknickt. Auch der Völker Leben hat seine Maitage, die wiederzukehren pflegen in jedem politischen Umschwung, der mit frischer Jugendlichkeit alle Nerven und Adern uns durchzuckt: wohl den Völkern, wenn die belebende Sonne der Vaterlandsliebe die edleren Blüten befruchtet, wenn nicht der Winterfrost der Selbstsucht sie tödtet, nicht der Sturm despotischer Gewalt sie vernichtet! Auch die Völker haben ihre Maitage, wo die blütenumkränzte Hoffnung erwacht, wo die patriotische Phantasie mit rosenfarbenen Gesichten spielt. Auch die Völker haben ihren Erndtemonat, und der Baum ihres Lebens umhängt sich mit köstlichen Früchten, dem Segen des Wohlstandes und dem Ruhme der Geschichte, wenn er wurzelt in der Liebe zum Vaterland, wenn er von treuen Bürgerhänden gepflegt und gehegt wird.
Für unser Deutschland war ein solcher Mai aufgegangen, mit brausender Jugendkraft stürzte das deutsche Volk in den Kampf, zu erringen die Freiheit, zu erringen ein Vaterland; aber die edelste Blüte des Siegs ward zernagt vom Wurm fürstlich-aristokratischer Selbstsucht, die heilige Saat, von edlem Bürgerblute gedüngt, ward zertreten vom eisernen Fuß der Despoten. Nun ist er wiedergekehrt der herrliche Völker-Mai, er steht vor Aller Augen, das Haupt umkränzt mit den Kränzen der Hoffnung: frisch will der Völkerbaum grünen und blühen, und mit reicher Frucht sich beladen. Aber noch stehen wir sinnend und zaudernd; noch ist ihm nicht Aller Liebe geweiht, Aller pflegende Sorgfalt; noch schmachten die Wurzeln auf dürrem Gestein, dürftig benetzt von den Thränen der Märtyrer, die in Verbannung leben, in Kerkern seufzen, oder dem Vaterlande den letzten Gruß zuwinkten von dem Schaffot. –
So weit von diesem erhabenen Punkte der Blick reicht, dehnt sich aus das herrliche Rheinthal, jener beneidete Garten, auf den die Natur alle Fülle des Segens ausgeschüttet; aber das deutsche Vaterland liegt verödet. Gärten für Obst, für Wein, für Brodfrüchte, grünende Wiesen und Anlagen prangender Lust haben deutsche Hände geschaffen; aber brach liegt der Boden des Vaterlandes. Sinnreich raffiniert der Erwerb, wie er den Baum, wie er den Weinstock veredle, wie er den Waizenhalm schließen und gewichtig laden mache, wie er den Wasserfluten den Raub entziehe, wie er den wildesten Berg umschaffe zu fruchtbarem Ertrag – aber die Fluren des Vaterlandes stehen verlassen, Dörner und Disteln wuchern, Uhus herrschen als Adler, Büffel spielen die Löwen, und kriechendes Gewürm, Volk genannt, schleicht und windet sich auf der Erde, zahllos sich vervielfältigend und jenen Raubthieren zum üppigen Fraß dienend. Geschäftig forscht und brütet der Geist der Erfindung, der Entdeckung, des Betriebs, wie er aus dem Leib der Erde die Metalle herauf hole zu Werkzeugen der Arbeit, des Gewinns und ach! unserer Bedrückung; aber das edlere Metall der Vaterlandsliebe ruht verschüttet. Der sinnende Geist errichtet Eisenbahnen und baut Dampfschiffe, das enge Comptoir zum Weltmarkt erweiternd, Land mit Land und Volk mit Volk zu gegenseitigem Wucher verknüpfend: aber der Bürger bleibt fremde dem Bürger, und engherzig verknüppelt er am Rechentisch, im spießbürgerlichen Puppenspiel, oder am kühnen Wagestück eines – Schleichhandels. Wir widmen unser Leben der Wissenschaft und der Kunst, wir messen die Sterne, prüfen Mond und Sonne, wir stellen Gott und Mensch, Höll‘ und Himmel in poetischen Bildern dar, wir durchwühlen die Körper- und Geisterwelt: aber die Regungen der Vaterlandsliebe sind uns unbekannt, die Erforschung dessen, was dem Vaterlande Noth thut, ist Hochverrath, selbst der leise Wunsch, nur erst wieder ein Vaterland, eine frei-menschliche Heimath zu erstreben, ist Verbrechen. Wir helfen Griechenland befreien vom türkischen Joche, wir trinken auf Polens Wiedererstehung, wir zürnen wenn der Despotism der Könige den Schwung der Völker in Spanien, in Italien, in Frankreich lähmt, wir blicken ängstlich nach der Reformbill Englands, wir preisen die Kraft und die Weisheit des Sultans, der sich mit der Wiedergeburt seiner Völker beschäftigt, wir beneiden den Nordamerikaner um sein glückliches Loos, das er sich muthvoll selbst erschaffen: aber knechtisch beugen wir den Nacken unter das Joch der eigenen Dränger; wenn der Despotism auszieht zu fremder Unterdrückung, bieten wir noch unsern Arm und unsere Habe; die eigene Reformbill entsinkt unsern ohnmächtigen Händen, die der Sturz Warschaus ins Zittern gebracht, die Wiedergeburt Deutschlands gilt uns als ein nichtiger Traum, und o! wie möchten wir fähig sein jener sittlichen Kraft, jenes heldenmüthigen Entschlusses, auf dessen Wink ein freies, ein glückliches, ein ruhmvolles Vaterland sich erhöbe? –
Herrliche Werke der sinnigen Andacht unserer bessern Väter prangten dereinst in diesen reichen Gauen, noch strecken ihre Wipfel oder Trümmer empor die Dome von Freiburg und Straßburg und Speier und Oppenheim und Mainz und Frankfurt. Andere Tempel erbauten wir daneben, klein und armselig wie unser Sinn und unsre Kraft. Noch steht die Kirche dort, wo ein Luther gepredigt, noch zeigt sie das Bild des Reichstags, vor welchem er, der muthige Glaubensheld, den Herrscherstab des Pfaffenthums, der Unwissenheit und geistigen Bedrückung zerbrach und die Freiheit des Gewissens und der Forschung für immer errang: aber noch steht der römische Despot mit deutschen Fürsten in Vertrag und Bund, und noch ist kein politischer Luther auferstanden, der das Scepter zerbreche der absoluten Könige, der die Völker erlöse von der Schmach der politischen Knechtschaft.
Wir bauen mit dem Schweiße zinspflichtiger Armen dem Uebermuthe Paläste, der Ueppigkeit Schauspielhäuser und Tanzsäle, der Unterdrückung Kasernen und Zwingburgen, der Lust Landhäuser und Bäder, dem Stolz errichten wir Prunkschlösser, der Eitelkeit Museen und Kunstgallerien, den Völkerschlächtern Säulen des Ruhms: aber für irgend ein deutsches Nationaldenkmal hat die weite deutsche Erde keinen Raum, haben seine 34 souveräne Fürsten keinen Sinn; eine Nationalhalle suchst du umsonst, wo die Majestät des deutschen Volks wiederstrahle, das freie Gesetz im Innern gründend, die Würde nach Außen bewahrend.
Tausend Dörfer und Städte sehn wir schimmernd sich ausbreiten, von Bewohnern wimmelnd, wie rührige Ameisen und erdumwühlende Maulwürfe; aber ein höheres Band, sie zu sittlicher Einheit verknüpfend, einen Gedanken, sie emporrichtend zum himmlischen Vater, der sie erschaffen zur Freiheit, zur Menschenwürde: jenes heilige Feuer, das in unserem Haupte den Lichtstrahl entzündet, und unsere Brust zum rettenden Entschlusse der Aufopferung für die Gesammtheit erwärmt, die Kraft des schwankenden Willens stählt und den flüchtigen Muth des Augenblicks in Flammen setzt – das suchst du vergebens.
Dort Carlsruhe – Carlsruhe; was kannst du weiter von der volkreichen, glänzenden Stadt rühmen, die sich glücklich schätzt, der Schemel üppiger Höflinge zu seyn, und von den Brocken ihrer Tafel sich zu nähren? Hier Speier, einst von tapferen Nemetern bewohnt, einst der prangende Sitz deutscher Reichsversammlungen und des Reichsgerichts, jetzt von etlichen Jesuiten und Aristokraten beherrscht. Dort das reinliche Mannheim, welches, zwischen Hof- und Bürgerthum schwebend, des Lebens Ziel und Preis in der Oper zu finden scheint. Heidelberg, ein altehrwürdiger Musensitz; aber manche der Fackelträger stellen das Licht unter den Scheffel, und mehr als den Musen opfert man dem Mammon und der Eitelkeit, die sich mit Orden bläht und Hoftiteln. Darmstadt, nur auf ein Preßgesetzlein für eine Spanne Landes bedacht, das neben der Zensur und unterm Schwert des Bundestags kränkle, jenes deutschen Bundestags, der einen deutschen Stamm zum andern als Fremdling, eine Scholle zur andern als Ausland erklärt. Worms, um dessen Gunst dereinst das deutsche Reichsoberhaupt gebuhlt, dessen tapfere Bürger Kaiser befreiten, wo Luther im Angesichte des Reichstags dem verketzernden Priesterthum Trotz bot, Worms, von den Römern erbaut, hat den Maulkorb um. Mainz, wo das Genie eines Guttenberg das pochende Gefühl in der engen Brust entfesselte und den Gedanken zum geflügelten Wort umprägte, Mainz musste die Schmach erleben, dass dort ein Spezialgericht zwölf Jahre lang auf Jünglingen lastete, die von einem Deutschland träumten, weil es in den Proklamationen der Mächtigen verheißen war; Mainz, Deutschlands Bollwerk, seufzt unter der Waffengewalt zweier Könige, deren Kabinetspolitik kein Deutschland anerkennt, und das Bollwerk sammt Deutschland schon mehrmals an den Erzfeind verrieth. Frankfurt, rührig mit Fässern und Ballen und Geldsäcken; Frankfurt das im Namen noch den Ruhm eines der muthigsten deutschen Stämme bewahrt; Frankfurt, wo jeder Pflasterstein für eine geschichtliche Erinnerung Deutschlands zeugt; Frankfurt ist – o dass ich Alles mit einem Wort sage! – ist der Sitz des Bundestags, der Sitz des politischen Vatikans, aus welchem der Bannstrahl herabzuckt, wo irgendein freier, ein deutscher Gedanke sich hervorwagt.
Sollen die Blicke noch weiter schweifen, den Schleier durchdringend, der die Schmach deutscher Gauen deckt? Wollen wir in den Norden hinabsteigen, wo die Nacht des Absolutismus schwer lastet auf einem Volksstamm, der sich der hellesten Erleuchtung mit Recht rühmte, der zu Deutschlands Befreiung von fremdem Joche sich zuerst und am kräftigsten erhob, setzt aber ob der schmählichen Knechtschaft im Innern und von Außen sich glücklich preißt? Oder wollen wir die örtlichen Brüder besuchen, welche die mit Sammet überzogene Eisenhand des schlauesten Despotismus von den übrigen Deutschen gewaltsam trennt, ja sie mit dem Henkerbeile gegen dieselben bewaffnet?
Ha! Ihr zürnet, deutsche Männer und Frauen, über die dunkeln Schlagschatten im Gemälde der Zeitbewegung: wohl euch, wohl dem Vaterlande, dass ihr zürnet! In diesem edlen Zorn ist die Bürgschaft gegeben, dass einst ein Deutschland wieder erstehe aus den Trümmern, worunter die Gewalt der Zeit und der Verrath der Fürsten es begraben. Leuchtende Strahlen der Hoffnung zucken auf, die Strahlen der Morgenröthe deutscher Freiheit, und bald, bald wird ein Deutschland sich erheben, herrlicher als es jemals gewesen.
Noch ist’s dasselbe Volk, um welches, als den natürlichen und politischen Mittelpunkt, einst alle Völker Europas sich reiheten; noch ist’s dasselbe Volk, das in der Zeit tiefster Erniedrigung mit heiliger Begeisterung die Ketten des Fremdlings zerbrach und auf blutigen Siegesfeldern den Altar des Vaterlandes erhob; wie zersplittert und vereinzelt auch die Bestrebungen der Stämme für die Erringung gesetzlicher Freiheit, es sind Steine zum großen Nationalbau für Alle; die Hände, welche Opernhäuser und Zwingburgen errichteten, werden auch Hallen erbauen, worin die Repräsentanten deutscher Nation über das Wohl des gemeinsamen Vaterlandes berathschlagen; mitten aus den Schwärmen der Elenden, die um wankende Throne sich lagern, oder sonst im Schlamm abscheidender Selbstsucht sich wälzen, richten sich Tausende männlich empor, glühend für deutsche Freiheit und Volksthum; wenn wir im Gewühl jener Städte viel nichtiges Treiben für Befriedigung des Bauchs und kränkelnder Sinnenlust sehn, so bemerken wir auch mit Freude die muthigen Vaterlandsvereine, den erwachenden Bürgerstolz, die stets regere Theilnahme an allem Oeffentlichen; in jenem herrlichen Frankfurt zumal, wo die finstere Gewalt aristokratischer Häuptlinge lauert, flimmert schon der Funke der Freiheit, der im deutschen Volkssaal zur hellleuchtenden Flamme sich entzünden wird; ja auch in den gelähmten Norden und Ofen dringt, erwärmend und belebend, immer tiefer der Strahl politischer Aufklärung, auch unsere dortigen Brüder haben vom Baum des Erkenntnisses gekostet, und darum steht auch vor ihrem Blick unser deutsches Vaterland in seiner traurigen Nacktheit, in seiner unwürdigen Blöse; auch für sie wird ein froher Maitag anbrechen, und wenn wir sie noch vermissen beim heutigen Feste der Hoffnung, sie feiern es doch mit im Geist, und sie werden nicht ausbleiben, wann wir das Erndtefest begehn, wann die Hoffnung zur Wirklichkeit gediehen, wann das Vaterland, das wir jetzt noch im Herzen tragen, einig und frei und stark, ein deutscher Riese, lebendig vor unsere Augen treten wird.
Und es wird kommen der Tag, der Tag des edelsten Siegstolzes, wo der Deutsche vom Alpengebirg und der Nordsee, vom Rhein, der Donau und Elbe den Bruder im Bruder umarmt, wo die Zollstöcke und die Schlagbäume, wo alle Hoheitszeichen der Trennung und Hemmung und Bedrückung verschwinden, sammt den Constitutiönchen, die man etlichen mürrischen Kindern der großen Familie als Spielzeug verlieh; wo freie Straßen und freie Ströme den freien Umschwung aller Nationalkräfte und Säfte bezeugen; wo die Fürsten die bunten Hermeline feudalistischer Gottstatthalterschaft mit der männlichen Toga deutscher Nationalwürde vertauschen, und der Beamte, der Krieger, statt mit der Bedientenjacke des Herrn und Meisters, mit der Volksbinde sich schmückt; wo nicht 34 Städte und Städtlein, von 34 Höfen das Almosen empfangend, um den preis hündischer Unterwerfung, sondern wo alle Städte, frei emporblühend aus eigenem Saft, um den Preis patriotischer Gesinnung, patriotischer That ringen; wo jeder Stamm, im Innern frei und selbstständig, zu bürgerlicher Freiheit sich entwickelt, und ein starkes, selbstgewobenes Bruderband alle umschließt zu politischer Einheit und Kraft; wo die deutsche Flagge, statt Tribut an Barbaren zu bringen, die Erzeugnisse unseres Gewerbfleißes in fremde Welttheile geleitet, und nicht mehr unschuldige Parioten für das Henkerbeil auffängt, sondern allen freien Völkern den Bruderkuß bringt. Es wird kommen der Tag, wo deutsche Knaben, statt durch todte Spielereien mit todten Sprachen sich abzustumpfen, und die Jünglinge, statt auf mittelalterlichen Hochschulen durch Gelage, schnöde Tändelei und Klopffechterei zu verkrüppeln, durch lebendigen Nationalunterricht und würdige Leibesübung sich zu deutschen Männern heranbilden und zu jenem Vaterlandssinn sich stählen, von dem alle politische Tugend, alle Großthat ausströmt; wo das deutsche Weib, nicht mehr die dienstpflichtige Magd des herrschenden Mannes, sondern die freie Genossin des freien Bürgers, unseren Söhnen und Töchtern schon als stammelnden Säuglingen die Freiheit einflößt, und im Samen des erziehenden Wortes den Sinn ächten Bürgerthums nährt; und wo die deutsche Jungfrau den Jüngling als den würdigsten erkennt, der am reinsten für das Vaterland erglüht; wo, abschüttelnd das Joch des Gewissens, der Priester Trug und den eigenen Irrwahn, der Deutsche zu seinem Schöpfer die unverfälschte Sprache des Kindes zum Vater redet; wo der Bürger nicht in höriger Unterthänigkeit den Launen des Herrschers und seiner knechtischen Diener, sondern dem Gesetze gehorcht, und auf den Tafeln des Gesetzes den eigenen Willen liest, und im Richter den freierwählten Mann seines Vertrauens erblickt; wo die Wissenschaft das Nationalleben befruchtet und die würdige Kunst als dessen Blüte glänzt.
Ja, er wird kommen der Tag, wo ein gemeinsames deutsches Vaterland sich erhebt, das alle Söhne als Bürger begrüßt, und alle Bürger mit gleicher Liebe, mit gleichem Schutz umfaßt; wo die erhabene Germania dasteht, auf dem erzenen Piedestal der Freiheit und des Rechts, in der einen Hand die Fackel der Aufklärung, welche civilisirend hinausleuchtet in die fernsten Winkel der Erde, in der andern die Wage des Schiedsrichteramts, streitenden Völkern das selbsterbetene Gesetz des Friedens spendend, jenen Völkern, von welchen wir jetzt das Gesetz der Gewalt und den Fußtritt höhnender Verachtung empfangen. –
Seit das Joch abgeschüttelt des fremden Eroberers, erwartete das deutsche Volk, lammfromm, von seinen Fürsten die verheißene Wiedergeburt; es sieht sich getäuscht, darum schüttelt es zürnend die Locken und drohet dem Meineid. Die Natur der Herrschenden ist Unterdrückung, der Völker Streben ist Freiheit. Das deutsche Volk, wenn die Fürsten nicht ihren Wolkenthron verlassen und Bürger werden, wird in einem Moment erhabener Begeisterung allein vollenden das Werk, wovor der siechkranke Dünkel erschrickt, wovor die auszehrende Selbstsucht erbebt, und wogegen die hinsterbende Gewalt vergebens die Streiche des Wahnsinns in die Luft führt; das deutsche Volk wird vollbringen das heilige Werk durch einen jener allmächtigen Entschlüsse, wodurch die Völker, wenn die Fürsten sie an den Abgrund geführt, sich einzig zu retten vermögen.
Dies der Gedanke des heutigen Festes, des herrlichen, bedeutungsvollsten, das seit Jahrhunderten in Deutschland gefeiert ward, – der Gedanke, der Tausende von ausgezeichneten deutschen Bürgern auf dieser Höhe versammelt und den Millionen andere Deutsche mitempfinden, der Gedanke der Wiedergeburt des Vaterlandes. Und solcher Gedanke schallt von dieser Bergruine, an deren starren Felswänden so mancher Schädel verzweifelnder Bauern sich verblutete, von diesem bischöflich-adeligen Raubnest, an welchem deutsche Volkskraft sich übte, die heiße Rache durch Zerstörung kühlend, schallt die Forderung deutscher Freiheit, deutscher Wiedergeburt, bedeutungsvoll mahnend, in allen Gauen des zerrissenen, des zertretenen Gesammtvaterlandes hinüber!
Darum noch einmal! Leuchten wird der große Tag, wozu in jeder flüchtigen Stunde neue Herzen sich bereiten, und wär‘ es uns nicht vergönnt, ihn zu schauen, so würden unsre bessern Söhne desto gewisser ihn heraufführen, sie, in deren unbefleckten Gemüthern jener Freiheitsstolz und jener Männersinn glüht, der einst Herrmann und seine Tapfern gegen die Dränger des Volkes geführt; unsre Söhne haben es gelobt und geloben es täglich; was dort auf benachbarter Hochschule von etlichen deutschen Jünglingen aus Preußen voll edlen Entschlusses gesprochen ward, es wiederhallet als Morgen- und Abendgedanke in allen reinen Jugendherzen; derselbe glühende Dring für das Vaterland kocht und siedet und sprudelt in der Brust aller Knaben und Jünglinge, die noch nicht vergiftet sind von den Lehren der Selbstsucht, des aristokratischen Hochmuths; sie wollen den stolzen Tag heraufführen, wo das morsche gothische Gebäude des politischen Europa zusammensinkt, wobei man sich über nichts wundern wird, als über das geringe Getöse des Sturzes.
Doch nimmermehr wollen wir unsern Söhnen und Enkeln das heilige Werk überlassen, ein deutsches Vaterland zu gründen, nimmermehr wollen wir Ihnen den Ruhm und den Stolz gönnen, dieses Vaterland erst vor ihren Blicken sich erheben zu sehn; nimmermehr wollen wir unsrer eignen Halbheit und Schwäche die Schminke leihen, indem wir, anscheinend arglos, versichern, die Gegenwart, die übrige Mitwelt sey nicht reif für Ideale, die wir im Geiste nähren.
Wir selbst wollen, wir selbst müssen vollenden das Werk, und, ich ahne, bald, bald muß es geschehen, soll die deutsche, soll die europäische Freiheit nicht erdrosselt werden von den Mörderhänden der Aristokraten.
Die Jugend empfängt von den Männern den Rath der Weisheit; mögen die Männer am flammenden Muthe der Jugend sich entzünden. Die Jünglinge werfen von sich den Tand, womit sie früher gespielt; sie verwischen alle Unterschiede, sie vertilgen alle Landsmannschaften und Trennungen: ihr deutsche Männer! O lasset auch uns aller Spaltungen vergessen, alle Marken und Abscheidungen beseitigen; lasset uns nur eine Farbe tragen, damit sie uns stündlich erinnere, was wir sollen und wollen, die Farbe des deutschen Vaterlands; auf ein Gesetz nur lasset im Geist uns schwören, auf das heilige Gesetz deutscher Freiheit; auf ein Ziel nur lasset uns blicken, auf das leuchtende Ziel deutscher Nationaleinheit, deutscher Größe, deutscher Macht: und wenn einst alle deutschen Männer dieser eine Gedanke voll und lebendig durchdringt, dann, ich schwör’es bei Thuisko, dem Gott der freien Deutschen, dann wird in strahlendster Gestalt sich erheben, wonach wir Alle ringen und wozu wir heute den Grundstein legen – ein freies deutsches Vaterland.
Es lebe das freie, das einige Deutschland!
Hoch leben die Polen, der Deutschen Verbündete!
Hoch leben die Franken, der Deutschen Brüder, die unsere Nationalität und Selbstständigkeit achten!
Hoch lebe jedes Volk, das seine Ketten bricht und mit uns den Bund der Freiheit schwört!
Vaterland – Volkshoheit – Völkerbund hoch!
-------------------------------------------------------------- *) S. Westbote 1832 Nr. 34, wo die Beschreibung des Schüler'schen Festes also schließt: "Dies der vorläufige Bericht, den der Westbote abstattet. Er selbst war Augenzeuge, er erzählt wahr und treu. Noch (am Morgen nach dem Feste) ist er des gewaltigen Eindrucks kaum Herr; aber er gewahrt in naher Ferne die immer größere Entfaltung des Bürgerlebens, er sah in der gestrigen Feier, in der Mitte der ausgezeichneteren Männer des Kreises, ein Bürger- oder Volksfest, das, wie schon bemerkt, bald in ein wahres Nationalfest übergehen wird. Jeder der Anwesenden wird den empfangenen oder erweckten heiligen Funken der Freiheit und deutscher Nationalität in die Herzen Aller übertragen und so eine Flamme entzünden, in welcher das schmachvoll niedergetretene deutsche Vaterland sich zu läutern und wie der Phönix jugendlich zu erstehen hoffen darf."
Quelle: Johann Georg August Wirth, Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach, Neustadt a/H., 1832, S. 31-41.